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    Zigeunerswing und keltisch-irische Klänge

    Musik kennt wahrlich keine Grenzen

    Sommerpausen scheinen es mittlerweile in sich zu haben. Keine Ferien für Künstler – und damit auch wieder jede Menge Möglichkeiten für mich, mich auf dem Musikmarkt umzusehen. Jetzt sind die Ferien rum und ich bin um einige schöne Erfahrungen reicher, die ich gerne weitergebe.

    Dass Klassik auch sehr locker und erfrischend präsentiert werden kann, hat einmal mehr Hubert Käppel mit seinem neuen „Fenix- International Guitar Quartett„ gezeigt. DEM deutschen Klassikgitarristen überhaupt ist es gelungen, den Bolivianer Pirai Vaca, der bereits als Solist im gesamten südamerikanischen Raum und in Europa Furore machte, sowie die beiden Ausnahmetalente Sotiris Malasiotis aus Griechenland und Luciano Marziali aus Italien - beide Preisträger zahlreicher international renommierter Wettbewerbe, für sein neues Projekt zu gewinnen. Und nicht nur das Quartett ist außergewöhnlich, sondern auch das Repertoire: von Bach und Mozart bis zu Carlo Domeniconi und Stevie Wonder. Mit virtuos gespielten Klassikhits begeistert FÈNIX ein großes Publikum ebenso, wie mit Latinklängen, griechischem Sirtaki, spanischer Habanera und sogar Wiener Walzer. Brouwers „Cuban Landscape with Rain„ setzt das Quartett wahrlich mit Meisterhand um. Mozarts „Kleine Nachtmusik„ in Käppels kreativem Arrangement für vier Gitarren hat Transparenz und ungeheure Dynamik. Das ist  Gitarristik auf Topniveau. Und einfach genial die Zugabe: Musik für 4 Gitarren, 4 Gläser und eine Flasche Wein. Klassik einmal mehr nicht staubtrocken, sondern frisch,  fröhlich – und richtungsweisend neu auf die Bühne gebracht.

    Einen wahrhaften Klassiker der Musik durfte ich live erleben. Es war mir eine besondere Freude und Ehre, Schnuckenack Reinhardt auf der Bühne und im Gespräch kennen zu lernen. Dieser Mann  hat berechtigterweise das Erbe des legendären Django Reinhardt angetreten und ist mit seiner Geige, die ihm dereinst Papst Paul VI schenkte,  selbst schon zur Legende geworden ist. Mit seinen einundachtzig Jahren ist er immer noch ein Energiebündel und jederzeit zu Scherzen aufgelegt. Sein Rezept für das Jungbleiben. „Die Musik hält mich jung – und außerdem esse ich jeden Tag Schnitzel mit Pommes Frites.„

    Was Schnuckenack Reinhardt mit seinem neuen Quintett zelebriert, ist Weltmusik, ist Zigeunerjazz mit Ethnoeinflüssen, mit Elementen aus Amerika, Rumänien, Ungarn oder Frankreich. Mit liebevollen Streicheleinheiten entlockt er seiner Geige den vollen Reichtum der Klänge. Ungarische Herzlichkeit und Leidenschaft wechselt ab mit lyrischen Melodiebögen im Sinti-Waltz . Mit den unendlichen Facetten seines Geigenspiels zieht er das Auditorium auf seine Saiten – und nicht nur die Füße der Zuhörer lassen sich mitreißen in den Taumel die pulsierende Rhythmik bei „Sweet Georgia Brown„ oder „Bei mir bist du scheen.„. Während seine Band die gesamte Bandbreite der vorhandenen Akkorde und die Möglichkeiten der Bass- und Pianoläufe abmisst, tanzt Schnuckenack und singt – in Sinti-Sprache – und zeigt großartigen Scatgesang. Einfach ein Erlebnis!

    Vom Zigeunerjazz ist der Sprung zum brasilianischen Jazz nicht mehr weit.

    Die brasilianische Sängerin Patricia Cruz ist ein Phänomen. Was sie mit Charme und Können auf die Bühne bringt, ist mehr als beachtlich. In den Kompositionen ihrer Heimat fühlt sie sich sichtlich wohl, verbindet Traditionelles mit glanzvoller Stimme, nuanciert mit emotionaler Vehemenz jeden einzelnen der dargebotenen Titel. Aufdringlichkeit scheint ihr fremd zu sein. Eher dezent geht sie mit den Werken etwa eines Ivan Linz um und macht aus dem „Commi sa de nuovo„ einen herrlich balladiösen langsamen Rhumba. Ihr Gesang hat Poesie, Was sie singt, ist erzählend, und eskaliert zu einer spannungsgeladenen Kreation emotionaler Tonalität. Dabei ist sie nicht die Frontfrau, ist eher Teil des Ganzen und integriert sich in ihre Band. Brazilian Jazz at it´s  best. Das Konzert hat bei mir bleibende Eindrücke hinterlassen.

    Klezmer ist das Synonym für „Musikinstrument„. Klezmer ist aber auch all das, was die Seele der Musik ausmacht, die Seele der traditionellen jüdischen Musik. Klezmergruppen zogen seinerzeit von Dorf zu Dorf, um bei Hochzeiten und Familienfeiern die Gäste zu unterhalten. In Klezmerkonzerten lebt diese beseelte Musik auch bei uns bis heute fort. Junge Vertreter dieses Genres sind die Musiker des Wuppertaler Ensembles Noisten. „Wir arbeiten seit  zwei Jahren zusammen„ berichtet Ensemblegründer und Klarinettist Reinald Noisten. Anlass für die Konzentration auf den Klezmer war sein Workshop mit Giora Feidmann. Das Ensemble Noisten will aber nicht nur Traditionen wiederbeleben, sondern mit eigenen Stücken fortführen. Dafür hilfreich ist unter anderem auch die Besetzung: Neben Klarinette, Gitarre und Contrabass setzen Tablas perkussive Akzente. Das Quartett entführt seine Zuhörer in die Welt der Seelenmusik, die tieftrauriges traurig – schön erscheinen lässt und Melancholie und unbändige Freude miteinander verbindet. So gefühlvoll wie die Musik ist das Zusammenspiel. Perfekt auf den Punkt bringen die Musiker ihre Interpretationen. „Kolomaika„ aus der Ukraine oder „Rassisdic Dance„, der Tanz der tiefgläubigen Rassiden,  klingen ebenso authentisch wie die Eigenkompositionen. „My peace„ nimmt das Auditorium hinein in den ruhigen und leisen Rhythmus des Herzschlags. „Crazy Jerusalem„ ist die gelungene musikalische Auseinandersetzung mit den kriegerischen Wirren zwischen Israelis und Palästinensern.  Und mit „Jaffa„ beschreibt das Ensemble Noisten eine Reise über Spanien nach Jaffa und begeistert die Zuhörer mit spanischem Flamenco-Klezmer.

    Und so nebenher genieße ich es immer wieder, wenn ich bei Konzerten wie diesen mal so richtig die Seele baumeln lassen kann.

    Einige werden sich noch an die Hochkonjunktur mittelalterlicher Musik in den 70er-Jahren erinnern und an Gruppen wie „Ougenweide„. Das Mittelalter scheint zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Renaissance zu erleben. Ich habe im Sommer ein Folk-Festival besucht, dass zwar unter Regen litt, aber durchaus interessant und neu für mich war. Irgendwie fühlte ich mich versetzt in längst vergangene Zeiten. Traditionelles Handwerk wie Scheren- und Messerschleifen, Lederbearbeitung oder das Herstellen von Tonwaren und Bonbons, Menschen in mittelalterlichen Gewändern und Hexen, die aus der Hand und den Tarot-Karten lasen, sorgten für den Zeitsprung. Mit heißem süßen Met gestärkt trotzten die Besucher den Wetterwidrigkeiten, mit denen Odin, Wotan und seine Götterfreunde ihnen den Spaß nehmen wollten, vor allem auch den Spaß an Folk, an Balladen, Rauf- und Saufliedern und anderen mittelalterlichen Klängen aus ganz Europa. Der Barde Andra sorgte mit seinem Zauberband-Duo  für irisch-keltische Klänge, die in ihren Texten traditionell die neuesten Nachrichten von Dorf zu Dorf trugen.  Begeistert war ich vor allem aber auch von der sechsköpfigen Münchner Formation „Ayragon„ mit mittelalterlichen Klängen in neuem Gewand. Traditionell die Instrumentierung  mit  Gitarre, Laute, Fiddle, diversen Trommeln, Flöte und Glockenspiel, temperamentvoll und ideenreich dabei die neuen Arrangements mit ausgezeichneten Gesangsparts. Oswald von Wolkensteins derbes Lied „Es nahet gen der Fasenacht„ unterlag leider dem prasselnden Regen des Wolkenbruchs, der sich über den Zuhörern vor der Bühne ausschüttete und das Bühnendach als Resonanzboden für heftiges Trommeln verwendete.  Nur die Hartgesottenen hörten darum auch das humorvolle „Solo für 3 Nasen„. Trotz allem lohnt es immer wieder, zu Folkkonzerten zu gehen. Davon demnächst mehr.

    Bis bald.

    Bernhard Wibben

     

     

     


    2001-09-15 | Nr. 32 | Weitere Artikel von: Bernhard Wibben





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