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    Neue Orte und neue Talente



    Schon wieder eine neue Spielstätte in Berlin! Nachdem sich das Chamäleon Varieté in den Hackeschen Höfen nach wie vor bestens fühlt, hat es eine Dépendence eröffnet: den „Glaskasten“. Etwas weniger zentral gelegen als das Mutterhaus, lockt er die Kleinkunst in den eher trüben Bezirk Wedding. Untergebracht in einem ehemaligen Ballsaal mit gläsernen Vorbau ist auch hier die Atmosphäre ganz besonders stimmungsvoll, wenn der Raum von Kerzen erleuchtet wird. Noch etwas mehr als im etablierten Chamäleon will man im Glaskasten ganz junge oder noch unbekannte Künstler auftreten lassen.

    Ein bisheriger Saison-Höhepunkt für die Bar jeder Vernunft war der vielbeachtete Liederabend der Schauspielerin Maren Kroymann. „Gebrauchte Lieder“ nannte die 45jährige das Programm, mit dem sie sich nach vielen Jahren wieder als Sängerin präsentierte - mit Liedern von Elvis bis Hank Williams. Die brauchte sie im Laufe ihres Lebens dringend, daher der Titel. Viele Zuschauer, die die Kroymann vor allem als Fernsehschauspielerin kannten, waren überrascht, wieviel Rock`n`Roll-Seele die sonst eher spröde Künstlerin auf die Bühne bringt. Unterstützt wurde die Entertainerin von Jo Roloff, den sie sich mitsamt seiner Band von den Geschwister Pfister ausgeliehen hatte.

    Die Bar kann sich gegenwärtig noch über andere Dinge freuen. Beispielsweise darüber, dass die Bahn endlich für eine neue Eigenproduktion frei zu sein scheint. Nach dem in die Operette „Das weißen Rössl“ Anfang der Neunziger von den Pfisters bis Otto Sander mit großem Erfolg die gesamte Bar-Prominenz eingespannt war, kann man nun endlich die „Frau Luna“ von Paul Lincke realisieren. Seit Jahren träumen Bar-Betreiber Holger Klotzbach und Lutz Deisinger davon, doch fiel es im Umfeld der maroden Berliner Kulturpolitik enorm schwer, das nötige Geld für dieses ambitionierte Projekt aufzutreiben. „Nach eineinhalbjährigem Planen, Ringen und Bangen“, so verkünden die beiden nun, stehe man mit zwei Sponsoren und Förderern „in äußerst kreativem Austausch“. Außerdem ist wieder die Bar-eigene Form des „Börsengangs“ geplant: Interessenten können sich als Mäzen betätigen und eine „Aktie“ erwerben. Nähere Information unter Tel. 030/885 692 00.

    Desirée Nick, der schlimmste Finger der Berliner Kleinkunst, überrascht mit einem weiteren Talent: Sie kann lesen. Seit einiger Zeit bringt das Lästermaul mit dem fiesen Humor in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz das Publikum mit einem hochkomischen Lesekränzchen zum Brüllen. Auf Zuruf liest „Desi“ aus Schund-, Schmalz- oder auch Hochliteratur, die ihr die in Scharen erscheinenden Fans reichen. Natürlich lässt die Diseuse nichts unkommentiert. Gelegentlich sind auch prominente Gäste dabei, aber die haben meist nicht viel zu sagen. Zu Lachen schon gar nicht. Das ändert sich aber vielleicht wieder beim neuen Programm der Nick, das Ende September Premiere haben wird. Zweifel haben darf man, ob es sich, wie der Untertitel ankündigt, tatsächlich um einen „Abend für die ganze Familie“ handelt: Betitelt ist er immerhin mit „Hängetitten de luxe“.

    Auch Susanne Betancor, bekannt als die „Popette“ hat`s mit den Büchern. Zusammen mit der CD „Damenbart“ zum letzten Programm erschien bei Eichborn jetzt der gleichnamige Roman, in dem sogar Liesl Karlstadt einen Gastauftritt hat. Ansonsten handelt der Erstling der Kabarettistin - vom Damenbart. Mausert sich die kuriose Popette zur Special-Interest-Künstlerin?

    In ein Meer von glücklicher Nostalgie schubste das Charla Drops Theater die Berliner. Nachdem die Namensgeberin und ihre treue Assistentin Luna Luder alias Frau Dochnoch alias Eva Hass seit Jahren in Köln leben und arbeiten, sind sie für ein längeres Gastspiel mit dem Titel „Mir nach, ich folge Euch!“ wieder einmal nach Berlin gekommen. Dahinter steht ein Best-Of-Programm, das den alten Fans, die die beiden gar nicht ernsthaften Damen noch aus Kreuzberger unArt-Zeiten kennen, glückliche Erinnerungstränen vom alten Westberlin in die Augen treiben. Mit ihren bizarren Tanzpantomimen und großartig absurden Sketchnummern hat sich das Charla Drops Theater aber auch eine ganze Menge neuer Verehrer erspielt.

    Norbert Tefelski, Kleinkunstkritiker des Berliner „Tagesspiegels“ (Übername bei einigen Veranstaltern: Norbert Gefälltsnie), der früher selbst als Kabarettist in Erscheinung getreten ist, hat nochmal einen kleinen Ausflug auf die andere Seite gemacht: Zur neuen CD der polnischen Chansonette Celina Muza steuerte er ein Stück zum Thema Fußball bei. Titel: „Balla, balla mit dem Fuß“.

    Neue Orte, neue Talente also allenthalben. Dieser Trend macht auch vor den Artisten nicht halt: Im brandenburgischen Klosterfelde wird am 27. Oktober die erste „Ruhmeshalle der Artisten“ eröffnet. Zudem soll vom dort beheimateten „Förderverein Internationales Artistenmuseum e.V.“ 2001 erstmals ein Internationaler Artistenpreis vergeben werden. Weitere Informationen unter Tel./Fax 033396/272.

     

    Redaktion: Susann Sitzler


    Termine

    Mehringhoftheater:

    2. - 7. 10.: Holger Paetz: „Ohne mich wird’s auch nicht besser“

    10. - 21. 10.: Bjerg/Evers/Maurenbrecher: „Neues vom Mittwochsfazit“

    24. 10. - 11. 11.: Matthias Beltz: „Eigenes Konto“

    14. 11. - 25. 11.: H.G. Butzko: „Butzunion“

    28. 11. - 23. 12.: Fil: „Na eben Neues von Fil & Sharkey“

    BKA-Theater:

    1. - 29. 10.: Charla Drops Theater: „Mir nach, ich folge Euch!“

    13./14. 10.: Erwin Grosche: „Dem Tiger die Stirn bieten“

    25. - 29. 10.: Stermann & Grissemann: „Die Karawane des Grauens“

    BKA-Luftschloss:

    27. 9. – 22. 10.: Desirée Nick: „Hängetitten de Luxe“

    2000-09-15 | Nr. 28 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler





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