Unter dem Titel Chanson für Edith (List ISBN 3-471-775 61-7; 288 S., 21,00 €) Kist jetzt ein Buch zum Komponist Norbert Glanzberg erschienen.
hat sie sein Leben nachgezeichnet. Seine Lieder für Yves Montand, Tino Rossi oder Edith Piaf sind bekannt, der Name Glanzberg ist dagegen kaum geläufig. Das sollte sich ändern, Padam, padam.
Es gibt schon merkwürdige Lebenswege! Ein solcher ist der Weg der Isa Vermehren, die aus einer liberalen, protestantischen Lübecker Familie stammend, als junges Mädchen in Werner Fincks Katakombe freche Seemannlieder zur Quetschkommode sang, von den Nazis ins KZ gesteckt wurde und die dann nach dem Krieg in einen konservativen katholischen Orden eintrat und seither als Nonne streng nach Ordensregeln lebt. Manch einem ist sie vielleicht vom Wort zum Sonntag bekannt. Sie hat diese Ordensstrenge regelrecht gesucht, obwohl ihr persönlich Toleranz, Humor und kritische Nachdenklichkeit bescheinigt werden. Merkwürdig! Ein weites Herz (Claassen ISBN 3-546-00339-X, 368 S, 22 €) nennt Matthias Wegner seine "Lebensbeschreibung der zwei Leben der Isa Vermehren", bzw. seine "Liebeserklärung an eine Nonne". Er ist fasziniert von dieser Frau, die so geradeaus und auch so widersprüchlich ist, dass es keine kritische, distanzierte Biographie geworden ist. Dennoch ein interessantes Buch über eine interessante Person.
Zum Weiterlesen sei noch ein Buch empfohlen, das Isa Vermehren 1945 selbst geschrieben hat und in dem sie (als eine der ersten überhaupt) ihre Erfahrungen und Erlebnisse in deutschen KZs beschrieben hat: Reise durch den letzten Akt (rororo 22361; 288 S, 7,50 €). Da ihr Bruder sich nach England abgesetzt hatte, wurde die ganze Familie in Sippenhaft genommen. Sie war zu der Zeit schon zum Katholizismus konvertiert, sehr gläubig und dies schlägt sich auch in ihren Erinnerungen nieder. Sie erzählt ohne jedes Heldenpathos ihre Erlebnisse, versucht zu ergründen, wie und warum Menschen sich so unmenschlich verhalten können und sie meint dabei sowohl die Häftlinge, als auch das Wachpersonal. Ein sehr authentisches Buch, das Beachtung verdient hat.
Auch Alfred Polgar ist einer breiten Öffentlichkeit heute weitgehend unbekannt, dabei wurde er früher zusammen mit Tucholsky, Krauss oder Benjamin genannt. Seine geistreichen Essays, Erzählungen und Kritiken gehörten zum Besten im deutschen Sprachraum. Es ist fast unnötig zu erwähnen, dass solch ein geschliffener Geist keinen Platz in Nazideutschland/Österreich hatte, er emigrierte in die USA. 1955 ist er in Zürich gestorben. Das große Lesebuch (Kein & Aber ISBN 3-0369-5116-4; 431 S, 22,80 €), das Harry Rowohlt zusammengestellt hat, enthält über 130 seiner meisterhaften Skizzen aus fünf Jahrzehnten. Worüber dieser Mann sich alles Gedanken gemacht hat: von den kleinsten Alltagsbeobachtungen bis zur Weltpolitik, von kulturellen Fragen bis zur Sexualität. Zu allem schrieb er Kluges, Bedenkenswertes, distanziert und doch engagiert und voller Humor. Ein sehr erbauliches Buch.
Ebenfalls aus Österreich ist der Künstler und Kabarettunternehmer Gerhard Bronner. Spiegel vorm Gesicht (DVA ISBN 3-421-05812-1; 272 S.,19,50 €) nennt er seine Erinnerungen. Seine Jugend in Wien, seine abenteuerliche Flucht bis nach Palästina, seine Arbeit als Musiker und schließlich seine Rückkehr nach Wien, wo er mit Kreisler, Weigel und vor allem Qualtinger Kabarettgeschichte schrieb. Apropos Kreisler: Die Herren Bronner und Kreisler sind sich nicht mehr grün und Gerhard Bronner berichtet in seinem Buch, daß Kreisler ihm eingestanden habe, die vergifteten Tauben von Tom Lehrer (= amerikanischer Liedermacher) übernommen zu haben. Die Frage der Ähnlichkeit beider Lieder bzw. der Urheberschaft ist gelegentlich schon sehr polemisch beredet worden. Sei's drum! Gerhard Bronner jedenfalls weiß sein Leben sehr gefällig zu erzählen, er spart auch Fehler nicht aus und teilt manchen Seitenhieb aus. Ein Buch, das Einblick gibt in die Wiener Kabarettszene.
Zwischen Zwerchfell und Gänsehaut gibt's bei Dietrich Kittner eine Mordsgaudi (PapyRossa ISBN 3-89438-284-8; 396 S., 19,80 €). Seit über 40 Jahren betreibt Kittner kritisches politisches Kabarett alter Schule: Er recherchiert und analysiert, er vergißt nicht was gestern und vorgestern noch geredet wurde, er hakt nach und mischt sich ein und er verknüpft und verdichtet die Fakten. Da ist er einzigartig auf weiter Flur und sein Engagement ist außerordentlich. Texte der letzten fünf Jahre hat er in diesem Band versammelt, gegliedert nach verschiedenen Themen. Auch wenn man politisch seine Schlüsse nicht teilt (was er z.B. über Biermann und Harald Schmidt schreibt geht ziemlich daneben) bereitet das Buch einige Freude. Hier beherrscht einer sein satirisches Handwerk.
2004-09-15 | Nr. 44 |